Institutioneller Alltag im sozialistischen Jugoslawien: Die Gemeinden Tuzla, Ohrid und Kragujevac (1950-1980)
Mittels eines mikrohistorischen und akteursorientierten Blicks auf den institutionellen Alltag in drei Gemeinden des sozialistischen Jugoslawiens – Tuzla, Ohrid und Kragujevac – sollen bestehende Narrative über dessen Geschichte als „Vorgeschichte des Staatszerfalls“ kritisch hinterfragt und empirisch auf die Probe gestellt werden. Von der Gemeindeebene ausgehend soll die jugoslawische Heterogenität sowohl im Hinblick auf die verschiedenen „Alltage“ der Menschen als auch etwa die lokalen Unterschiede in der Durchherrschung der Gesellschaft durch das Partei- und Staatsapparat untersucht und die These über die infolge der zunehmenden Dezentralisierung und Föderalisierung Jugoslawiens entstandenen „sechs oder sogar acht Sozialismen“ in den verschiedenen Republiken und autonomen Provinzen überprüft werden. Das beabsichtigte Ergebnis des Vorhabens ist eine neue Geschichte des jugoslawischen Sozialismus, die eine Beseitigung der bestehenden empirischen, aber auch methodischen Leerstelle zwischen den älteren sozialwissenschaftlichen und/oder politikgeschichtlichen Studien und den neueren Forschungsarbeiten der Kultur- und Alltagsgeschichte des Sozialismus (nicht nur) in Jugoslawien darstellt. Während die ersteren vorwiegend das „System“ beschrieben, untersuchten die letzteren primär den sozialistischen Alltag der (einfachen) Menschen. Anstatt implizit oder explizit eine Dichotomie zwischen „Alltag“ und/oder „Praxis“ und der sozialistischen „Ideologie“, „Politik“ etc. zu postulieren, richtet das Vorhaben den Blick auf die Menschen und ihren Alltag im politischen und wirtschaftlichen System. Das Vorhaben soll dazu folgende Fragen beantworten: Wie funktionierte das politische und wirtschaftliche System des sozialistischen Jugoslawiens? Wer waren die Akteure an der „Basis“, die sämtliche Veränderungen des sich ständig wandelnden Systems umzusetzen, mitzutragen und schließlich zu verinnerlichen hatten? Wie lebten die Menschen in dem und durch das höchst komplexe Institutionengefüge, wie sah ihre Praxis auf kommunaler Ebene aus und wie nahmen sie diese wahr? Inwieweit war der institutionelle Alltag „ideologisch“ bestimmt oder standen vielmehr konkrete Probleme und Lösungen im Mittelpunkt? Welche Bedeutung hatte dabei der jugoslawische Föderalismus? Wie groß waren auf Gemeindeebene die Gemeinsamkeiten und wie groß die Unterschiede in Bezug auf die Praxis der Institutionen in den verschiedenen föderalen Einheiten? Die Beantwortung dieser Fragen soll allgemein zu einem besseren Verständnis der Bedeutung von Institutionen für gesellschaftlichen Zusammenhalt beitragen. Sowohl die empirischen Ergebnisse als auch theoretischen und methodischen Überlegungen etwa zur Frage nach dem Verhältnis Strukturen-Akteure bei der Analyse von Institutionen sollen schließlich neue Möglichkeiten aufzeigen, wie sich Geschichte der Menschen als Geschichte von Institutionen erzählen lässt.
Dazu wird während des dreijährigen Förderzeitraumes in drei vergleichenden Studien das alltägliche Leben der Menschen in und durch Institutionen in drei Bereichen (Politik, Wirtschaft und Sport) in je drei Gemeinden (Tuzla, Ohrid und Kragujevac) mit der Berücksichtigung von drei analytischen Aspekten (Institutionen, Alltag und Föderalismus) untersucht. Der als gemeinsamer Rahmen vorgegebene Untersuchungszeitraum umfasst drei Jahrzehnte: von der Einführung der betrieblichen Selbstverwaltung 1950 bis zu den großen Veränderungen des politischen und wirtschaftlichen Systems in den 1970er Jahren wie der neuen jugoslawischen Verfassung (1974) und dem Gesetz über vereinigte/assoziierte Arbeit (1976).
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